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Das Tagebuch zum Hochwassereinsatz in Bitterfeld - Tag 1

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Tag 1 - Mittwoch, 21.08.2002

 

03:05 (fast) pünktliche Abfahrt vom Feuerwehrgerätehaus Weitefeld. Mit dabei sind insgesamt 26 Kameraden (davon 1 Fahrer, der uns am Wochenende wieder abholen wird) aus Daaden, Derschen, Friedewald, Niederdreisbach und Weitefeld. Also aus allen Löschzügen der Verbandsgemeinde Daaden.  
04:17 Eine erste Panne bremst unsere Fahrt. Bei unserem LF8 ist der Scheibenwischer der Fahrerseite im Regen ausgefallen. Die Kolonne stoppt auf der Standspur der Autobahn; der Scheibenwischer kann in wenigen Minuten repariert werden.
04:35 Wir fahren den Rasthof Rottenhof zum ersten Zwischenstop an.
08:23 Soeben haben wir die Landesgrenze zu Sachsen-Anhalt passiert.
08:30 Rasthof Osterfeld. Der Wassertank des Mehrzweckfahrzeugs (MZF) Niederdreisbach muss noch gefüllt werden, bevor wir im Katastrophengebiet ankommen. Das Wasser wollen wir zum Waschen von Mannschaft und Geräten verwenden. Das Wasser was aus dem Hydrant auf dem Rasthof kommt, macht allerdings keinen vertrauenserweckenden Eindruck und so fahren wir erst mal mit leerem 1000l-Tank weiter.
09:25 Wir passieren den Flughafen Leipzig. Die Einflugschneisse führt direkt über die Autobahn.
09:40 Rasthof Köckern. Diesmal haben wir Glück: das Wasser aus dem Hydranten entspricht unseren Vorstellungen. Der Tank des MZF wird gefüllt.
10:27 Bitterfeld. Ankunft bei der Einsatzleitstelle Marienstrasse. Die Mannschaft vertritt sich die Beine, während das (dynamische) Duo Heiko Weyand (im folgenden nur noch HW) und Heinz-Walter Haubrich (im folgenden nur noch HWH) sich bei der Einsatzleitung melden.

Ein erster Reporter von Westerwald-TV (durch unsere Ankunft geweckt) hat schon ein Interview gewittert, dass unser Wehrführer HW bereitwilligt gibt (es soll für die nächsten Tage nicht das letzte gewesen sein).

Wir sehen mit Erschrecken die Paletten mit leeren Sandsäcken, die es noch zu füllen gilt. Nach einem ersten Anlauf in der vermeintlichen Kantine zwecks Nahrungsaufnahme, erfolgt auch schon der erste Rausschmiss: Fehlinformation (heisst es). Schliesslich kommen wir doch noch zu einer Kiste Bananen und Lunchpaketen. Das Rote Kreuz versorgt uns zusätzlich mit warmer Siedewurst. 27 Grad und Sonnenschein. Kein Spass.
Wir sollen uns auf den Weg zu unserer Unterkunft nach Friedersdorf machen und uns einrichten. Einsatzbefehle sollen folgen.

11:36 Erster Versuch einer Kontaktaufnahme mit ostdeutscher Frau gescheitert. Nachdem der ELW (Einsatzleitwagen) die Umleitung nach Friedersdorf nicht finden konnte, versuchte man eine Fahrrad-fahrende Frau nach dem Weg zu fragen. Diese ergriff nach Sicht ins ELW die Flucht und wurde nicht mehr eingeholt.
12:00 Wir haben den Weg schliesslich doch gefunden und sind jetzt in Friedersdorf (ca. 2000 Einwohner) an der neuen Sporthalle (riessig gross) angekommen. Um die Halle herum befinden sich 2 Rasen- und 4 Tennisplätze. Wir haben uns Feldbetten vom DRK Daaden mitgebracht und beziehen jetzt erstmal Quartier.

12:30 Es ist soweit. Der erste Einsatzbefehl hat uns erreicht: Bleiben Sie auf Bereitschaft. Wenn man die Bilder im Fernsehen gesehen hat, kann man nicht glauben, dass es nichts zu tun gibt.
13:45 Wir rücken mit dem LF8 zur Besorgungs- und Erkundungstour aus. Wir fahren verschiedene Geschäfte an und finden das, was wir eigentlich gesucht haben: einen Grill. Wir kaufen noch das notwendige Zubehör (Nahrung) und das Abendessen scheint gesichert.
14:55 Nun wirds ernst: TSF Friedewald und MZF Niederdreisbach rücken zum ersten richtigen Einsatz aus: Aufrichten und Abdichten eines Öltanks. Mittlerweile haben wir uns auch über das Leitungswasser informiert: Wir können uns damit waschen und in abgekochter Form kann man es wohl noch trinken (darauf verzichten wir vorsichtshalber). Zum Zähneputzen werden wir Mineralwasser aus der Flasche nehmen.
15:10 Auch der Rest bekommt was zu tun: Hochwasser im Kindergarten wird gemeldet. Dieser war zwar nicht überflutet, aber die Nachbarhäuser standen unter Wasser. Am Ende der Strasse gabs einen kleinen Damm aus Sandsäcken, den wir umschichteten, um das Wasser ablaufen zu lassen. Wir lassen eines unserer Notstromaggregate zurück, wo die Anwohner z.B. Lampen anschliessen können, um Plünderungen zu erschweren oder zu verhindern.
19:30 Wir haben mittlerweile schon zu Abend gegessen und sitzen in gemütlicher Runde zusammen. Da uns die Einsatzleitung immer noch keinen Auftrag zugeteilt hat, hat sich ein Kommando auf den Weg gemacht, um Arbeit zu suchen. Nach dessen Rückkehr steht fest: Wir haben Arbeit.

Wir starten mit allen Fahrzeugen in Richtung Bitterfeld, um die Zivilisten und die Bundeswehr bei der Sicherung eines Damms zu unterstützen, der hauptsächlich die Bayer-Werke vor dem Wasser schützen soll. Es dämmert so langsam. BW-Hubschrauber fliegen mit angehangenen Sandsäcken (beladen in Transportnetzen) in die Mitte des Damms, laden diese dort ab und holen neue. Die Sandsäcke werden von Helfern entgegengenommen, die diese direkt im Damm verbauen.

Wir verteilen uns in einer mehrere hundert Meter lange und hunderte von Menschen umfassende Kette auf dem Damm, die mit BW-LKWs angelieferte Sandsäcke (wie Wassereimer bei einem Brand) über den Damm durchreicht. Es sind Sandsäcke dabei, die wiegen weit mehr als 15 kg; aber auch welche, die man mit zwei Fingern tragen kann. Wir haben uns bei BW-Soldaten eingegliedert; die Stimmung ist gut.
22:50 Wir befinden uns noch immer in der Menschenkette. Die Hubschrauber fliegen schon seit 20:20 nicht mehr; d.h. alle Sandsäcke, die benötigt werden, müssen über den Damm transportiert werden. Markus hat eben ein neues Spiel für bis zu 800 Personen erfunden: Stopf den Damm.
00:05 Nachdem immer noch kein Ende in Sicht und wir die ganze Zeit für dumm verkauft werden ("nur noch 25 Meter" oder "nur noch 30 Minuten"), beschliesst unsere Einsatzleitung (bestehend aus HWH und Stellvertreter HW) sich selbst ein Bild vom Ende des Damms zu machen. Nach deren "Besichtigung" werden wir von der Arbeit abgezogen ("Zum Abmarsch fertig"). Alle haben über mehrere Stunden Sandsäcke weitergereicht und haben nur noch den Wunsch nach einer Dusche und dem Feldbett.

Wir lassen BW-Soldaten (die haben keine andere Wahl) und Zivilisten auf dem Damm zurück.