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Das Tagebuch zum Hochwassereinsatz in Bitterfeld - Tag 2

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Tag 2 - Donnerstag, 22.08.2002

 

08:00 Ein neuer Tag beginnt. Da wir keinen genauen Einsatzbefehl hatten, haben wir beschlossen, erst um 08:00 Uhr aufzustehen und uns dem Frühstück zu widmen.
09:00 Einsatz für MZF, TSF und ELW: Aufrichten und Abdichten von Öltanks.  
10:00 Wenn man sich die Arbeit nicht selbst sucht, bekommt man hier anscheinend auch keine. Erneut ist ein Kommando ausgerückt, um Arbeit zu suchen. Einigen war noch aus dem Fernsehen in Erinnerung, dass eines der Neubaugebiete Bitterfeld komplett unter Wasser stand/steht. Also machen wir uns mit allen Fahrzeugen auf den Weg dorthin; vielleicht können wir ja helfen ...
10:30 Neubaugebiet Bitterfeld. In der Tat sieht es hier noch verheerend aus. Der Stadtteil Wien ist evakuiert. Eine Strassensperre der Bereitschaftspolizei hindert Zivilisten am Durchkommen; Rettungskräfte dürfen mit Passierschein (haben wir einen) rein. Das THW ist hier mit Pumpen zu gange. Wir lassen uns von der Hektik nicht anstecken und bereiten unseren Einsatz an der Ecke Friedensstrasse/Leinedamm vor. Wir verteilen uns mit den Fahrzeugen und Pumpen auf die zwei Strassenseiten; der Einsatz kann beginnen.

Wir beschliessen, die Spannung zwischen Anwohnern und Helfern etwas zu lockern (bisher ist alles ziemlich steif; selten, dass mal jemand "Guten Tag" oder sowas sagt). Wir haben von zu Hause eine Kiste mit Wandkacheln mitgebracht, die mal zu unserem 75jährigen Jubiläum erstellt wurden. Darauf ist unser Feuerwehrhaus abgebildet. Wir verteilen die Kacheln an unseren Einsatzorten, wo sie auf reges Interesse der vorbeigehenden Menschen stossen.
13:50 Früher als erwartet (normalerweise um 14 Uhr) dürfen die Anwohner in das evakuierte Stadtviertel. Autos, Pumpen und Notstromaggregate müssen draussen bleiben. Jeder Anwohner, der das Gebiet betritt, muss an der Ausweiskontrolle vorbei, wo alles penibel kontrolliert wird. Ab jetzt haben die Anwohner bis 18:00 Uhr Zeit, sich den Schaden zu betrachten; dann muss das Viertel wieder geräumt werden.
14:35 Ein Reporter vom MDR hat beschlossen, ein paar Fotos von unserem Einsatz zu machen. Dummerweise scheint er die Lage nicht so ganz begriffen zu haben, denn er zieht kurzerhand seine Schuhe aus, watet in das kontaminierte Wasser und lässt sich sogar noch davon berieseln, indem er sich unter unsere Wasserfront kniet.
14:40 Mittlerweile verschenken wir sogar unsere Kappen (Aufschrift "Feuerwehr Weitefeld") an die Kinder der Anwohner. Manche haben ihre als Sonnenschutz auf dem Kopf; alle anderen stehen quasi zur freien Verfügung.
16:20 Eine der Anwohnerinnen, wo wir Wasser abpumpen, hat Bedenken wegen der Statik ihres Hauses geäussert. Das abgepumpte Wasser könne sich so auf den Grundwasserspiegel auswirken, dass die Bodenplatte in Mitleidenschaft gezogen werden könne. Unser stellv. Einsatzleiter HW meldet die Bedenken an die Einsatzleitung weiter. Vorerst müssen wir alle Pumpen stoppen.
16:25 Die Einsatzleitung hat zu unserem Standort einen Statiker der Bayer-Werke angefordert. Dieser soll in den nächsten 15 Minuten eintreffen und die Lage begutachten.
16:55 Soeben kam die Meldung von der Einsatzleitung, dass der Statiker heute nicht mehr kommt (hätte uns auch gewundert bei der Organisation vor Ort). Erstaunlicherweise erhalten wir trotzdem die Genehmigung die Pumpvorgänge fortzusetzen. Lediglich das THW muss mit den stärkeren Pumpen die Arbeit eingestellt lassen und rückt ab.
17:50 Die Lage eskaliert: zwei Mitarbeiter einer Baufirma sind mit einem Minibagger angerückt und fordern uns auf, den Damm, auf dem unsere Pumpe steht zu räumen. Am Morgen sind Aufklärungshubrschrauber über das Gebiet geflogen, nach deren Aufnahmen der Krisenstab beschlossen hat, diesen Damm einreissen zu lassen, damit das Wasser besser ablaufen kann. Einen Haken hat die Sache jedoch: Mittlerweile ist durch die Arbeit der Pumpen und das natürliche Ablaufen der Wasserspiegel auf der unbebauten Dammseite höher als auf der bebauten, was zur Folge haben wird, dass das rausgepumpte Wasser wieder zu den Häusern zurücklaufen kann. Ein Anwohner mobilisiert kurzerhand seine Nachbarn, die nun verstärkt anrücken, um die Arbeiten zu verhindern.
18:25 Nachdem der herbeigerufene "Deichgraf" die Lage inspiziert hat, liess er sich davon überzeugen, dass die Lage unter Kontrolle ist und keine Baggerarbeiten notwendig sind. Die Anwohner beruhigen sich ebenfalls und rücken wieder ab.
19:00 Innerlich haben wir uns schon auf einen Schichtdienst eingestellt, um die Pumpen die Nacht durchlaufen zu lassen. Wir hatten zwar erst Bedenken, dass diese das wohl nicht durchhalten würden, haben aber dann beschlossen, das Risiko einzugehen.

Wir erhalten allerdings die Order der Einsatzleitung, es dürfe abends oder nachts nicht gepumpt werden. Der Grund: Lärmbelästigung. Ein benachbarter Stadtteil hat sich über die nächtlichen Arbeiten beschwert (die hatten offensichtlich nichts mit dem Hochwasser zu tun). Uns fehlen die Worte.

Zum Abmarsch fertig. Wir packen unsere Sachen (bis auf Schläuche) ein und rücken ab.